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Psychodramatische Aufstellungen - Rollen im Kontext im Raum -

Erschienen in:
Psychotherapeutenforum 4/2oo3, Verlag für Psychotherapie Münster

Auszug aus dem Text:

Teil des von Moreno konzipierten triadischen Systems ist neben Psychodrama und
Gruppenpsychotherapie die Soziometrie: die soziale Struktur der Gruppe anhand eines Kriteriums
erforschen.

Von Moreno ist dies gedacht als Offenlegung der Kräfte von Anziehung und Abstossung, beides
Formen der Wahl; dadurch öffnen sich Spielräume für Veränderungen. Wählen heißt, den Ort
bestimmen und Einfluß nehmen.

Der Beginn der Soziometrie liegt in der Definition eines Kriteriums, ein Bedürfnis, Wert, Ziel, nach
dem die Gruppe die Beziehungen untereinander zuordnet. Das Kriterium von Berufsfeldern, nach
der Geschwisterposition, nach einer Landkarte von Herkunftsorten: alles führt bereits in
Aufstellungen. Aktionssoziometrie meint, daß die Gruppe durch eine Aufstellung sich selbst
erforscht, sich Veränderungen zugänglich hält, jeder seinen Platz dabei erforscht und wahrnimmt,
wie die einzelnen Aktionen zusammenhängen und sich bedingen.

Der Raum

Aufmerksamkeit für die Bedeutung von Räumen und Beziehungsräumen ist Teil des
Psychodramas. Bei Aufstellungen ist die räumliche Zuordnung von Menschen oder Sachverhalten
zueinander zentral und wird einer der Wirkfaktoren. Psychodramatische Aufstellungen ereignen sich
im Raum der Bühne.

Die Bühne ist ein Raum der Wandlung und des Übergangs, so wie Psychodrama die Methode des
Übergangsraums ist und dort Spielraum schafft. Bühne ist der Ort, an dem Raum, Zeit und Logik der
Gruppenrealität außer Kraft gesetzt werden, eine Surplus-Realität entsteht.

Moreno 1974 beschreibt als Orte der Wandlung "symbolische Behälter" und sieht als einen solchen die
psychodramatische Bühne an.

Vorstellungen über Räume sind häufig anzutreffen im Denken im psychotherapeutischen Feld. So der
von Winnicott entwickelte Begriff des Übergangsraums: Winnicott versteht diesen Übergangsraum als
inneren Raum. Ebenso etwa auch Bion in seinem Konzept des Containers, eines Behälters, den er im
Inneren einer Person ansiedelt als einen Raum, der mit der Fähigkeit zur Wandlung aufnehmen und
tragen kann.

Moreno geht den einen Schritt weiter, der den Unterschied macht: er etabliert die Bühne als
symbolischen Behälter oder Raum. Dies macht es möglich, den Übergangsraum in seiner Qualität als
Ort der Wandlung von innen nach außen stülpen, den Raum gegenständlich zu machen und der
Handlung zu eröffnen.

Der Zwischenraum

Auf der Bühne angekommen: wie ist im besonderen das Feld, der Raum und der Raum dazwischen
beschaffen, so daß bei Aufstellungen Menschen nicht irgendwie im Raume stehen, sondern eben
sich in einer Aufstellung, in einer Sinnhaftigkeit finden, erleben und verändern?

Anstelle eines persönlichen Unbewußten konstruierte Moreno ein Konzept der gemeinsam
bewußten und gemeinsam unbewußten Lagen zwischen Personen, welche die Partner zusammen
hervorgerufen und erfahren haben. Zustände, die nicht von einer Psyche stammen, sondern von
mehreren, die miteinander verbunden sind, einer Interpsyche.

Hierher stammen die gegenseitige Wahrnehmung und gegenseitige Einfühlung, Zweifühlung, die
zur Begegnung führt.

Die Überlegungen zum Zwischenraum sind vielfältig: Foulkes als Vertreter der psychoanalytischen
Gruppentherapie hat wie alle, die mit Gruppen arbeiten, über Verbindungen nachgedacht:
Wesentlich ist ihm der Begriff des Netzwerks, der Matrix, daß der Einzelne Teil eines sozialen
Netzwerks ist und jeder in dieser Matrix seinen Anteil am Gesamtgeschehen hat. Wie die Gestalt
eines Fadens nur aus der Verflechtung insgesamt zu begreifen ist, ist denn auch das Ganze mehr als
die Summe seiner Teile.

Was in diesem Zwischenraum passiert, beschreibt Daniel Stern, wie auch andere der
Intersubjektivität verpflichtete Beziehungsforscher, daß zwei sich erkennen in ihrer gemeinsamen
Teilhabe am Projekt, für das sie zuständig sind, aufgehen in einem größeren Rahmen, in dem beide
Agierende sind. "Implizites Beziehungswissen entwickelt sich durch interaktionale, intersubjektive
Prozesse ... Einer Veränderung in der intersubjektiven Umwelt geht ein "Moment der Begegnung"
voraus. Die Veränderung wird wahrgenommen, und daraufhin wird die soeben veränderte Umwelt
zum neuen Wirkkontext, in dem mentale Vorgänge auftauchen und Gestalt annehmen und frühere
Ereignisse reorganisiert werden."

In den systemischen Aufstellungen nach Hellinger wird immer wieder deutlich, daß die
aufgestellten Repräsentanten über eine besondere Wahrnehmung für das dargestellte System
verfügen mittels der räumlichen Anordnung und der Körperempfindungen. M. Varga von Kibed,
2ooo, schlägt vor, dies unter dem Begriff der repräsentierenden Wahrnehmungen zu fassen. Dies
versteht er auch als Zugang zum "Unbewußten zwischen uns". Das "Wissende Feld" Hellingerscher
Aufstellungen meint ähnliche Qualitäten.
All diese Denkformen über Individuen, ihre Organisation und Teilhabe am Gesamt mögen aus ganz
unterschiedlichen Quellen stammen. Und doch transportieren sie ein vielfältig gemeinsames
Wissen: der Zwischenraum ist von vornherein ein mit vielfältiger Bedeutung versehener Ort der
Tiefung, der beziehungsvollen Verknüpfung und Verdichtung, auf dem sich das, worum es geht, in
besonderer Weise herstellen wird.
 
 
 
Psychodramatische Aufstellungen

Die von mir gemeinten Aufstellungen sind psychodramatisch, weil sie auf psychodramatischen
Grundformen basieren und jederzeit in ein Psychodrama überführt werden könnten durch Zulassen
entsprechender weitergehenden Interventionen.
Ich arbeite nicht mit der Vorstellung eine Wissenden Feldes, das die Aufgestellten das Wesentliche
spüren läßt, sondern besetze Rollen und baue auf die Vorgänge interpsychisch zwischen den
Rollenträgern, wie deren Gesten, körperliche Präsenz jeweils dem Umfeld mitteilen, worum es geht,
wie es zu ändern ist. Ich besetze nicht zur personale Rollenträger, sondern um zu triangulieren,
schlage ich immer auch eine Rolle aus dem Kontext vor, sei es ein Gegenstand, ein Affekt, ein
politischer Sachverhalt, der das erlebte Geschehen in einen größeren Kontext einzuordnen imstande
ist.

Es wird keine Szene eingerichtet, sondern Wirkfaktor ist die Auseinandersetzung mit den
besonderen Bedingungen des Bühnenraums und der Interpsyche. Wir werden meist versuchen,
einen Rollentausch durchführen; jede Aufstellung wird nachbesprochen, mit Rückmeldungen von
den Rollenträgern, den übrigen Teilnehmern über die ausgelösten Vorgänge: dies hat mit der
psychodramatischen Überzeugung zu tun, daß kein Geschehen isoliert abläuft. Wer auch immer
grade aufstellt, so sind doch alle daran beteiligt und können im Transfer auch für sich zu Klärungen
kommen, die durch das Durcharbeiten der Nachbesprechung gefestigt werden.

Im Folgenden werde ich in den Beispielen nicht auf Details eingehen, in welcher Situation dies
geschah, was es klärte und wohin es weiter führte. Mir liegt vielmehr daran, die Vielgestaltigkeit
psychodramatischer Aufstellungsinterventionen in verschiedenen Arbeitsformen zu zeigen.

Die integrierende Einsicht ergibt sich nicht aus einer von mir gesetzten Deutung, sondern für die
Person unmittelbar in mehreren Facetten in ihrem eigenen Erleben in der psychodramatischen
Aufstellung.

Aufstellungen in der Gruppentherapie

Nach einem Streit zwischen zwei Teilnehmern in einer Therapiegruppe verhärtet sich einer der
Teilnehmer und verschließt sich. Zunächst will ich eine Bearbeitung zeigen, die nicht die beiden
Konfliktpartner betrachtet, sondern einen von ihnen in eine intrapsychische Erforschung bringt.

Ausgehend von dieser Situation möchte ich verschiedene Formen von Aufstellungen beschreiben.
Zur Aufstellung bitte ich ihn, sich selbst , einen Stellvertreter für die andere Person, die an dem
Streit beteiligt war, und als weitere Rollen "Selbstbehauptung", "Streit", "Angst", "Kränkung" zu
besetzen und zwar indem er Gruppenmitglieder benennt, die in diese Rollen gehen. Ich habe hier
einige der Begriffe - Rollen im Kontext - aufgegriffen, die mir in das Umfeld des Geschehens zu
gehören schienen und zu einer weiteren Untersuchung der Verhältnisse interessant vorkamen. Ich
hätte auch andere Begriffe vorschlagen oder ihn selbst nach Begriffen fragen können: wichtig ist
nur, daß Rollen im Kontext entstehen.

Der Teilnehmer weist nun den Rollenträgern den Ort im Raum an, zieht sich von der Bühne zurück
und ist dann Betrachter seines eigenen innerpsychischen Geschehens. Die Rollenträger stehen still
auf der Bühne am zugewiesenen Platz, fühlen sich ein und nehmen wahr, wie sie zueinander im
Raum gestellt sind: so sind "Angst" und "Kränkung" geschützt aufgestellt, während die aggressiven
Rollenträger sozusagen eine Abwehrformation bilden.

Damit wird durch eine Aufstellung innerer Strukturen ein innerer Konflikt deutlich, in dem ein
ängstliches Ich eine Form zur Regulationen der Auseinandersetzung nicht findet, eine rigide
Selbstverteidigung aufgebaut werden muß.

Ich gebe als Anweisung, alle mögen sich nach ihrem Rollenempfinden richten und ihren
Bewegungsimpulsen nachgehen, die sie möglicherweise spüren, vor allem bezogen auf den Kontext
zu den anderen Rollenträgern.

Technisch gesehen ist dies eine Aufstellung, in der der Auftraggeber den Rollenträgern ihren Ort
angewiesen hat. Diese haben mit ihren eigenen Reaktionen auf die Anmutungen des Raumes und
Kontextes eine neue Gruppierung hergestellt und ihm als räumliche Deutung angeboten. In dieser
Aufstellung bekommen die Rollenträger lediglich den Platz zugeteilt und durch ihr Erspüren der
Rolle im Raum und ihren räumlichen Zusammenhang mit den anderen Elementen beginnt
stellvertretende Erarbeitung.

Rollen und Kontext werden benannt, die aufgestellten Teilnehmer bekommen vom Auftraggeber
darüber hinaus noch eine Geste oder einen Satz zu ihrer augenblicklichen Verfassung mitgeteilt; dies
wird ihr Erleben in der Aufstellung steuern.

Spätestens am Ende der Aufstellung tritt der Auftraggeber in seine eigene Rolle ein und spürt dem
gefundenen Bild nach. Es ist therapeutisch gesehen so, als hätte die Gruppe wie ein Container einen
Sachverhalt aufgenommen und ihm verarbeitet wieder angeboten.

Manchmal gehe ich so vor, daß ich den Auftraggeber nicht stellen lasse, sondern benannte
Rollenträger auffordere, anhand der Rollennamen, die sie bekommen haben und in Reaktion auf die
miterlebte Erzählung oder Szene sich selbst aufzustellen und dem Teilnehmer auf diese Weise eine
komplette play-back -Situation zu liefern. Dies ist häufig eine sehr aussagekräftige Form, die ganz
auf die Wirkung der Interpsyche baut.

Da es sich um psychodramatische Aufstellungen handelt und wir jederzeit die weitere Formensprache
des Psychodrama anwenden können, ist auch die Entwicklung eines Stegreifspiels aus der Aufstellung
heraus denkbar, oder eine besondere Szene, die dem Auftraggeber just in den Sinn kommt, kann
gespielt werden, oder es kann einen Rollentausch des Auftraggebers durch mehrere Rollen in der
Aufstellung hindurch geben - es handelt sich um Formen, die im Fluß und flexibel sind und bleiben.

Denkbar wären nun als weiterer Schritt auch Aufstellungsformen, die berücksichtigen, daß zwei
Teilnehmer an meinem obigen Ausgangsbeispiel einer Auseinandersetzung beteiligt waren: in
diesem Falle wäre ich mit zwei Protagonisten in einer Aufstellung. Ich kann dies tun, indem ich das
zwischen ihnen gemeinsame, den Streit also, als Kriterium nehme und dies als Sachverhalt im
Raum symbolisiere. Ich nehme also einen Stuhl, dem ich den Namen "Streit" gebe, stelle ihn in den
Raum und fordere sie beide auf, sich dazu zu stellen.

Auch jetzt kann ich Rollen aus dem Kontext formulieren oder um Einfälle dazu einholen und
Gruppenteilnehmer bitten, sich vielleicht in Rollen "Angst", "Angriff" zu beiden Beteiligten zu
positionieren. Ich lasse damit eine gemeinsame Aufstellung beginnen.

Um deutlich zu machen, daß ich in einer Gruppe arbeite und daß daher das Geschehen für alle
bedeutsam ist, alle ihren Anteil daran haben, gehe ich davon aus, daß nie ein Teilnehmer nur seine
höchst persönlichen Belange bearbeitet, sondern zugleich Protagonist für die innere Aktion aller
Beteiligter ist, beteiligt an der Interpsyche der Gruppe.

Ich kann dem Rechnung tragen, indem ich etwa zum Abschluß der Aufstellung eines Teilnehmers
die gesamte Gruppe auffordere, sich zu stellen: wo ist hier in diesem Geschehen mein Platz. Auch
die Wahl eines Standortes in dieser Gesamtgruppenaufstellung als "läßt mich ganz kalt" mit
größtmöglicher Entfernung zum Geschehen bleibt interpsychisch dabei, auch dies eine Form der
Teilhabe am Ganzen.

Bisher habe ich Aufstellungsformen geschildert, in denen innere Anteile nach außen gebracht und
bearbeitet werden. Selbstverständlich wäre es auch möglich, die gleichen Sachverhalte
interaktionell aufzustellen: statt der inneren Anteile eines Teilnehmers also die Personen
aufzustellen, die ihm zu diesem Konflikt in den Sinn kommen: Vater und Mutter,
Beziehungspartner. Dies käme dann einer Familienaufstellung sehr nahe.

Die Aufstellung der Rollen im Kontext im Raum bedarf keiner aufwändigen Szeneneinrichtung und
mehrfacher Szenendurcharbeitungen; sie ist in der Gruppentherapie unschwer auch in die
verschiedensten Arbeitsmethoden integrierbar als psychodramatisches Arrangement und erlaubt
übrigens auch einen kontrollierten Umgang mit der zur Verfügung stehenden verabredeten Zeit.

Aufstellungen in der Supervision im Team

In der Supervision handelt sich in der Hauptsache um Aufstellungsformen, die soziometrisch angelegt
sind, denn durch die gemeinsame Teilhabe am Arbeitsfeld ist das Kriterium für das Zusammenfinden
eines Teams festgelegt. Aufstellungen helfen dem Team, sich in seinem Bezug zur gemeinsamen
primären Aufgabe zu klären, ohne daß ein Stellvertretersystem vonnöten wäre: die realen
Rollenträger können miteinander ihre Rollen ausmessen.

Manche Teams beschäftigen sich gerne ausgiebig mit sich selbst: einen Stuhl in der Mitte des
Raums zu platzieren, ihn als "Ihr Klientel" zu benennen und das Team aufzufordern, sich dazu im
Raum zu positionieren, läßt den Kontext wieder erlebbar werden, in dem das Ganze sich abspielt.
Selbstverständlich wäre es auch ein weiterführendes Ergebnis einer solchen Aufstellung, sollten alle
Mitarbeiter sich von der "Klientel" abwendend aufstellen: was hindert sie, ihre primäre Aufgabe
anzunehmen und zu tragen? Dies könnte etwa mit einer Erweiterung der Aufstellung geschehen
durch einen weiteres Kriterium, repräsentiert durch einen zweiten Stuhl, der vielleicht den Namen
"Trägerverein" erhält und den Kontext bedeutsam zur weiteren Untersuchung erweitern würde.

In der Arbeit mit einem Team in der beruflichen Rehabilitation tauchen in den Fallvorstellungen
Sätze der Patienten auf wie "ich will ja, aber ich kann nicht", die in den Therapeuten häufig
Hilflosigkeit und Wut erzeugen. Die Untersuchung der Ohnmacht als soziometrisches
Zuordnungskriterium in einer Aufstellung als etwas gemeinsam Geteiltes mit der Ohnmacht der
Patienten erhellt den Supervisionsteilnehmern ihren eigenen Zustand und auch ihre Abwehrformen
dagegen: was ihnen wiederum ermöglicht, dies auch bei ihren Patienten wieder freier
wahrzunehmen.

Die Handelnden sind Teil einer Interpsyche, einer Matrix. Dem trägt die Aufstellung in beruflichen
Feldern der Supervision Rechnung und behandelt Konflikte nicht in erster Linie als persönliche
Unzuträglichkeiten eines Mitarbeiters. Dies sind Betrachtungsweisen, die sich auf das System richten
statt auf die einzelne Person: dem entsprechen Aufstellungen von Rollen im Kontext im Raum.

Ich selber schätze psychodramatische Aufstellungen als einen Schritt des derzeit Möglichen, mit
einem Vertrauen in die dabei genutzten Räume und Zwischenräume. Menschen das Betreten dieser
Räume zu ermöglichen, sie dort in Selbstverantwortung sich in ihren Bezügen spüren und verändern
zu lassen, ihre eigene Schöpfung zu tun.